
Prof. Dr. Peter Hettich: Kein Unterschied zwischen grossen und kleinen Firmen.
Was würde es für Unternehmen bedeuten, wenn die Konzernverantwortungsinitiative angenommen wird? HSG-Professor Peter Hettich klärt auf.
(Text: Miryam Koc)
Am 29. November wird über die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle
Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» abgestimmt. Die
Initiative verlangt, dass Schweizer Unternehmen international anerkannte Menschenrechte und Umweltstandards im Ausland befolgen müssen. Unternehmen sollen für Menschenrechtsverletzungen und die Missachtung von Umweltstandards haftbar gemacht werden können, wenn diese ihnen über Geschäftspartner oder Konzernverhältnisse zurechenbar sind.Warum ist die Initiative so umstritten? Wir haben Dr. Professor Peter Hettich, der an der Universität St.Gallen zum Wirtschafts- und Umweltrecht forscht, gefragt.
Professor Peter Hettich, was halten Sie grundsätzlich davon, dass Schweizer Konzerne bei der Verletzung von Menschenrechten – egal, wo die Handlung stattgefunden hat – mit der «KVI» zur Verantwortung gezogen werden können?
Auf den ersten Blick tönt das super. Es kann ja niemand dagegen sein, dass Unternehmen, die Schäden anrichten, zur Verantwortung gezogen werden. Der Hund liegt im Detail begraben: Konzeptionelle und juristische Unstimmigkeiten werden zu Unsicherheiten und internationalen Normkonflikten führen. Die Initiative ist nicht zu Ende gedacht.
Wer Schaden anrichtet, soll dafür haften: Dagegen ist im Grundsatz ja nichts einzuwenden. Delegieren Schweizer Unternehmen wirklich ihre diesbezügliche Verantwortung an Subunternehmen oder Töchter in, sagen wir es direkt, Bananenrepubliken?
Das Wort «Bananenrepublik» bringt das neokolonialistische Gedankengut der Initiative gut zum Ausdruck. Natürlich gibt es Länder, die schwache Institutionen haben und Schweizer Standards nicht nachleben. Kann ein Schweizer Gericht hier Abhilfe schaffen? Ist eine Schweizer Intervention nicht respektlos gegenüber dem Gaststaat? Ein Schweizer Unternehmen wird sich ohnehin nicht aus der Verantwortung stehlen können, wenn sein Subunternehmen mit Kinderarbeit produziert; der Reputationsschaden ist dann gigantisch.
Schlagzeilen machten vergiftete Kinder (Glencore/Kolumbien) oder Bauern (Syngenta/Indien). Würden solche Schlagzeilen mit Annahme der Initiative nicht enden?
Solche Schlagzeilen werden nicht enden, im Gegenteil: Schweizer Gerichte bilden für Aktivisten und NGOs ein öffentlichkeitswirksames und günstiges Werbefenster, um auf mutmassliche Missstände aufmerksam zu machen und Druck auf Unternehmen auszuüben. Das zeigte der Prozess gegen die Klimaaktivisten in Lausanne. Derzeit wird vor allem Glencore an den Pranger gestellt: Vielleicht wäre eine Glencore-Initiative besser gewesen, als gleich die ganze Schweizer Wirtschaft in Geiselhaft zu nehmen.
Ist nicht aber der Staat dazu verpflichtet, Menschenrechte und Umweltstandards vorzugeben und einzuhalten?
Tatsächlich ist nur der Staat direkt verpflichtet, die Menschenrechte einzuhalten. Der Staat muss aber durch die Gesetzgebung einen geeigneten Rahmen setzen, damit die Umwelt und Menschenrechte auch von Privaten eingehalten werden.Die KVI will diesen Grundsatz nun umkehren; juristisch führte die Initiative aber einfach dazu, dass die Schweiz neu ausländische Sachverhalte ihrer Regulierungshoheit unterwirft.Wenn Länder wie die EU und die USA solches in der Vergangenheit mit der Schweiz gemacht haben, dann wurde das oft als übergriffig empfunden. Offenbar haben wir weniger Mühe damit, wenn wir anderen unsere Standards aufzuzwingen.
«Juristisch führte die Initiative dazu, dass die Schweiz neu ausländische Sachverhalte ihrer Regulierungshoheit unterwirft. »
Prof. Dr. Peter Hettich.
Würde die Initiative nur grosse Firmen treffen? Oder wären auch KMU betroffen?
Der Initiativtext macht keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen KMU und grossen Schweizer Firmen. Der Bundesrat sieht alleine für Tiefrisiko-KMU Erleichterungen vor. Der Geltungsbereich der Initiative ist derzeit stark umstritten.
Sagen wir: Eine NGO prangert einen Konzern an. Dieser streitet ein Fehlverhalten ab. Wie aufwendig wäre es, solche Missachtungen zu überprüfen?
Richter an Zivilgerichten erzählen mir, dass alleine schon die
Zustellung von Scheidungsdokumenten in ein Entwicklungsland Monate dauert. Bei einem Prozess, der auf einem Beweisverfahren aufbaut, wird die Abklärung des Sachverhalts fast unmöglich sein. Gerade deshalb denke ich, dass NGOs mit ihren Klagen einfach Druck aufbauen wollen.
Gegenvorschlag
Der Gegenvorschlag des Nationalrats enthält eine abgeschwächte Konzernhaftung. Also, dass lediglich jene Menschenrechte und Umweltstandards von einer Sorgfaltsprüfungspflicht erfasst werden, die von der Schweiz im massgeblichen Verfahren ratifiziert worden sind. Wäre das eine realistischere Umsetzung? Die Schweiz verfügt bereits heute über hohe Standards bei Menschenrechten und beim Umweltschutz. Insofern sehe ich hier keine Abschwächung. Klar ist ohnehin, dass der Gesetzgeber die Initiative mit neuen Gesetzen umsetzen und die Standards definieren muss.
Der Gegenvorschlag des Nationalrats enthält eine abgeschwächte Konzernhaftung. Wäre das eine realistischere Umsetzung?
Die Schweiz verfügt bereits heute über hohe Standards bei Menschenrechten und beim Umweltschutz. Insofern sehe ich hier keine Abschwächung. Klar ist ohnehin, dass der Gesetzgeber die Initiative mit neuen Gesetzen umsetzen und
die Standards definieren muss.
Ist Ihnen persönlich ein Fall bekannt, bei dem Sie selbst sagen mussten: So geht’s nicht, hier müssten wir strengere Regeln haben?
Wenn ein Unternehmen ethische Standards verletzt und zum Beispiel bei Kinderarbeit nicht sofort Abhilfe schafft, kaufe ich diese Produkte nicht mehr.
Und das Gegenteil, wo Sie Schweizer Firmen gegenüber ausländischen Konkurrenten deswegen benachteiligt sahen?
Aus der persönlichen Praxis kenne ich Unternehmen, die strikt auf Schmiergelder verzichtet haben, obwohl ihre Konkurrenten weiter solche Praktiken pflegten. Dann haben die USA ihre Standards unilateral global durchgesetzt; das hatte dann ausreichend Gewicht, und heute ist Korruption viel weniger ein Thema.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Wie stimmen Sie im November ab?
Die Initianten folgen ihrem Gewissen, was ich respektiere und achte. Wenn aber nichts Gutes mit der Initiative erreicht werden kann, hilft das niemandem. Deshalb werde ich Nein stimmen.
Dieser Text ist aus der LEADER Ausgabe Oktober. Die LEADER-Herausgeberin MetroComm AG aus St.Gallen betreibt auch stgallen24.ch.