«Wird Alfred Escher bald abgerissen, nur wegen Sippenhaft?», fragt sich Dr. Philipp Gut.
Die grösste Schweizer Stadt will unliebsame Denkmäler entsorgen und Helden früherer Tage vom Sockel reissen. Eine neue Intoleranz der Toleranten greift um sich.
«Wackelt jetzt die Statue von Alfred Escher?», fragte das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). «Dürfen sie bleiben, oder müssen sie gehen?», warf der Tages-Anzeiger in die Runde. In der grössten Schweizer Stadt ist ein Streit um die Denkmäler entbrannt.
Ist Frau Mauch in 300 Jahren noch «zeitgemäss»?
Nichts gegen engagierte Debatten, sie sind der Brennstoff unserer Demokratie. Aber was hier vor sich geht, ist befremdlich. Angestossen von Stadtpräsidentin Corine Mauch und inspiriert durch die «Black-Lives-Matter»-Bewegung in den USA, setzt die grösste Schweizer Stadt zu einem offiziellen Denkmalsturz an. Alle öffentlichen Statuen sollen darauf überprüft werden, «wie zeitgemäss sie noch sind und ob es in den Biografien problematische Aspekte gibt».
Wie bitte? Ist etwa Frau Mauch in 300 Jahren noch «zeitgemäss»? Und gibt es – Hand aufs Herz – nicht in jeder Biografie «problematische Aspekte»?
Sippenhaft für Alfred Escher
Die Denkmalsturz-Eiferer machen nicht einmal vor Figuren wie Alfred Escher halt, dem grossen Unternehmer und Politiker des 19. Jahrhunderts. Er prägte das Gesicht der Schweiz mit dem Bau der Gotthardbahn und der Gründung der Kreditanstalt wie kaum ein Zweiter. Nun werfen ihm linke Historiker und Lokalpolitiker vor, dass es in seiner Verwandtschaft «Bezüge zur Sklaverei» gab. Gilt denn neuerdings die Sippenhaft?
Was nicht politisch korrekt ist, wird entsorgt
Die modernen Bilderstürmer setzen ihre eigenen Ansichten und Werturteile über alles. Wer nicht ins Schema des gerade als politisch korrekt Geltenden passt, wird aussortiert und entsorgt.
Dabei vergessen sie, dass ihre Massstäbe selbst historisch bedingt sind. Der deutsche Historiker Leopold von Ranke sagte, jede Epoche sei «unmittelbar zu Gott». Damit meinte er, dass sie ihren eigenen Wert besitze und aus sich selbst heraus zu verstehen sei.
Bequeme Selbstgerechtigkeit
Das heisst nicht, dass man alles gutheissen müsse, was unsere Vorfahren getan und gelassen haben. Im Gegenteil. Recht soll Recht, Unrecht soll Unrecht heissen. Kritische Geschichtsschreibung ist selbstverständlich. Aber sie sollte nicht dazu führen, dass wir in bequemer Selbstgerechtigkeit bloss unsere eigenen Überzeugungen in der Vergangenheit spiegeln.
Die Weltgeschichte ist kein Mädchenpensionat
Müssen wir gleich Säuberungsfantasien walten lassen, wenn uns etwas nicht in den Kram passt? Sind wir so dünnhäutig geworden, dass wir die Brüche und die dunklen Seiten, die es in jeder Figur und in jeder Geschichte gibt, nicht mehr aushalten?
Die Weltgeschichte ist kein Mädchenpensionat, und wenn wir sie daraufhin zurechtbiegen, verleugnen wir uns am Ende selbst.
Dr. Philipp Gut schreibt auf dem Online-Verbund von Portal24 jede Woche eine Kolumne, die auf den 10 dem Verbund angeschlossenen Portalen jeden Sonntagmorgen publiziert wird. Philipp Gut ist Historiker, Bestsellerautor («Jahrhundertzeuge Ben Ferencz») und einer der profiliertesten Journalisten der Schweiz. Mit seiner Kommunikationsagentur Gut Communications GmbH berät er Unternehmen, Organisationen und Persönlichkeiten. www.gut-communications.ch