Ab heute schreibt der Publizist, Buchautor und Journalist Dr. Philipp Gut auf Uzwil24 jeden Sonntag eine Kolumne zur Schweiz. Er startet mit der «Sonnenkönigin», Frau Bundesrat Simonetta Sommaruga.
Die Bundespräsidentin verteilt zum Nationalfeiertag Noten an die Bevölkerung. Da versteht sie etwas verkehrt: Ist sie etwa die Königin der Schweiz?
Manchmal entlarven sich Politiker, ohne dass sie es selber merken. In einem am 31. Juli ausgestrahlten «Gespräch zum 1. August» mit dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) äusserte sich Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (SP) auch zum Verhalten der Bevölkerung in der Corona-Krise. Dabei scheute sie sich nicht, den Bürgerinnen und Bürgern des Landes eine «Note» auszustellen. Sie hätten das Zeugnis «hervorragend» verdient, meinte die Bundesrätin.
Die Aussage beherrschte dann am Nationalfeiertag die Schlagzeilen der Print- und Online-Medien. Und niemand kratzte sich am Kopf oder fragte kritisch nach.
Königin oder gutmütige Herrscherin?
Natürlich ist es immer schmeichelhaft, wenn man ein Kompliment erhält. Und aus taktischer Sicht mag es für die Bundespräsidentin durchaus Sinn haben, den Wählerinnen und Wählen solchen Honig um den Mund zu schmieren. Dennoch läuft hier etwas total verkehrt. Ist Frau Sommaruga etwa die Königin der Schweiz? Fühlt sie sich als gutmütige Herrscherin, die ihr Volk von oben herab symbolisch streichelt, um es bei Stange zu halten?
Jedenfalls passt es unter keinen Umständen zu einer Demokratie, wie die Schweiz eine ist, dass die Regierenden dem Volk Noten für sein Wohlverhalten verteilen. Nein, das geht gar nicht.
Bürgerinnen und Bürger vergeben Noten
Stellen wir klar: In einem demokratisch aufgebauten Staat ist es genau umgekehrt. Hier ist das Volk der Chef: Man nennt das «Souverän». In einer Demokratie sind es die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger, die Noten vergeben – indem sie die Politiker wählen oder eben auch wieder abwählen, wenn sie deren Leistung als ungenügend einstufen.
Diese fortwährende Korrekturmöglichkeit macht das Wesen der Demokratie aus. Im Gegensatz zu anderen politischen Systemen, in denen einzelne oder wenige abgehoben herrschen, ohne dass sie der Bevölkerung Rechenschaft schuldig wären. Ihre Fehler bleiben so bestehen – mit fatalen Folgen für Land und Leute.
Mangelndes Demokratieverständnis
Die Tatsache, dass Bundespräsidentin Sommaruga dem Schweizer Volk allen Ernstes Verhaltenszensuren vergibt, verrät also einiges über ihr mangelndes Demokratieverständnis. Verschärft wird dieser Eindruck noch durch eine zusätzliche Erklärung, die sie im SRF-Interview nachschob. Die guten Noten hätten nämlich damit zu tun, dass es ein «gewisses Vertrauen» in den Bundesrat gebe, meinte sie. Im Klartext: Wer der Regierung lammfromm folgt, ist ein guter Bürger. Wer das nicht tut oder gar zu widersprechen wagt, ist ein schlechter Schüler, pardon: Schweizer, und muss nachsitzen.
Frau Bundespräsidentin, Sie vergessen, dass es bei uns eben genau andersrum läuft: Nicht Sie als Politikerin bewerten die Wähler. Wir bewerten Sie, an der Wahlurne. Man nennt dies Demokratie.
Dr. Philipp Gut schreibt auf dem Online-Verbund von Portal24 jede Woche eine Kolumne, die auf den 10 dem Verbund angeschlossenen Portalen jeden Sonntagmorgen publiziert wird. Philipp Gut ist Historiker, Bestsellerautor («Jahrhundertzeuge Ben Ferencz») und einer der profiliertesten Journalisten der Schweiz. Mit seiner Kommunikationsagentur Gut Communications GmbH berät er Unternehmen, Organisationen und Persönlichkeiten. www.gut-communications.ch