Die Kirche St. Mauritius nimmt in Lenggenwil eine dominierende Bedeutung ein. Bereits im Jahr 1275 wird eine Vorgängerin des heutigen Gotteshauses urkundlich erwähnt. Kirche und Kultur prägen die lange und bewegte Geschichte des Dorfes, das 903 erstmals urkundlich erwähnt wurde.
Im Titelbild: Zu den grossen kirchlichen Anlässen gehört das Erntedankfest, bei dem auch das Patrozinium von St.Mauritius gefeiert wird.
(Ernst Inauen)
Als 1988 das 250-jährige Bestehen der St.Mauritiuskirche gefeiert wurde, gelangte das von Sales Huber verfasste Festspiel „Bilder aus Lenggenwils Vergangenheit“ zur Aufführung. Der Alt-Lehrer aus Wittenbach, Vater des gleichnamigen Dorfarztes von Niederhelfenschwil, ermöglichte damit eine spannende Rückschau auf die bewegte Geschichte des Dorfes und der Kirche. Die Gesamtleitung übernahm der bekannte Regisseur Peter Bernhardsgrütter, während ihn Werner Baumgartner, Josef Meienhofer Senior und sein Sohn Josef als musikalische Leiter unterstützten. Rund 140 der insgesamt etwa 600 Dorfbewohner stellten sich für das grosse Schauspiel zur Verfügung, darunter die gesamte Schuljugend. In knapp sechs Wochen intensiver Probetätigkeit bereitete der Regisseur die Laienspielerinnen- und Spieler, die zum Teil erstmals auf einer Bühne auftraten, für ihre anspruchsvolle Aufgabe vor. Die Inszenierung trug denn auch deutlich die Handschrift von Peter Bernhardsgrütter, der in den folgenden Jahrzehnten mit den beeindruckenden Inszenierungen der Freilichtspiele „Ueli der Knecht“, „Ueli der Pächter“ und weiteren populären Theateraufführungen grosse Erfolge feiern konnte.
Schenkung an das Kloster St.Gallen
Das gemütvolle Festspiel widerspiegelte in elf Bildern die über tausendjährige Geschichte des Dorfes. Bewusst wählten die Organisatoren die Fastenzeit für die Aufführungen, weil das Stück auch stark von religiösen Momenten geprägt war. Eine Urkunde belegt, dass im Jahr 903 der Alemanne Linko und seine Tochter Amata ihren Hof „Linkenwilare“ dem Kloster St.Gallen übergaben. Im Festspiel wurde auch das einfache Leben der Dorfgemeinschaft dargestellt. Im zweiten Teil des Spiels standen das kirchliche Leben und der Bau eines neuen Gotteshauses im Mittelpunkt. Anfangs des 17. Jahrhunderts raffte in der Region die Pest tausende Menschen dahin. Auch die Bewohner von Lenggenwil waren stark betroffen. So war auf dem Friedhof zu lesen: “Ist das nicht eine Plag, neunundneunzig in einem Grab?“ Jedoch schon im Jahr 1275 wurde in Lenggenwil eine Kirche (kleine Kapelle) erstmals urkundlich erwähnt. Die Pfarrei Lenggenwil war damals eine weit verzweigte Gemeinde, zu der auch Amtszell und Oberheimen, Zuzwil, Brübach, Sonnental und zeitweise wohl auch Hosenruck und Welfensberg gehörten. Eine arge Zeit erlebte Lenggenwil während der Reformation im 16. Jahrhundert, weil sich die Pfarrei als einzige des Wiler Amtes nicht zum Glaubenswechsel entschloss.
Neubau der St.Mauritius-Kirche
Der Fürstabt von St.Gallen erhob Lenggenwil im Jahr 1720 zu einer selbständigen Pfarrei und billigte ihr einen eigenen Pfarrer zu. 1737 schloss die Gemeinde mit den Meistern Joachim Rüthy, Stadtmaurer aus Wil und dem Bischofszeller Maurer Josef Keller einen Akkord über die «Erbauung einer neuen Kirche bis an den Turm» ab. Der damalige Turm war nur so hoch wie die Kirche. Das heisst also, dass es einen Neubau von Chor und Schiff gab, während man den alten Turmrumpf bestehen liess. Schon im November des gleichen Jahres war der Rohbau fertig und konnte zu Ehren von Sankt Mauritius eingeweiht werden. Die Kirche und das im gleichen Jahr erbaute Pfarrhaus stehen gemeinsam auf einer ummauerten Geländeerhebung und sind ein weitherum sichtbares Wahrzeichen im Zentrum von Lenggenwil. Bei mehreren Renovationen erfolgten Veränderungen des Sakralbaus. Im Jahr 1932 schaffte die Pfarrei vier neue Glocken an. 1972 wurde die St. Mauritius-Kirche einer Totalrenovation unterzogen. Das Äussere blieb erhalten, das Innere total umgestaltet. Die Kanzel, die Sakristeitüre und der Hauptaltar sind das Einzige, was von der alten Kirche erhalten blieb. Der Chorraum wurde vor einigen Jahren nochmals umgestaltet und dabei der Altar und der Taufstein ersetzt. Aus dem Altar wurde 2014 der Ort der Sternenkinder auf dem Friedhof geschaffen.
Strenge Sitten der Pfarrherren
Zur 1100-Jahrfeier von Lenggenwil verfassten drei Ortsbürger eine Jubiläumsschrift «Lenggenwil leben erleben». Darin erwähnen die Autoren einige merkwürdige Reminiszenzen. Eine Besonderheit der katholischen Kirche, die in Lenggenwil bis Ende der 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts aufrechterhalten wurde, sei der Brauch gewesen, dass eine Frau nach einer Geburt vor dem ersten Gottesdienst-Besuch vor der Türe zur Kirche zu warten hatte, bis der Pfarrer sie aussegnete. Erst dann schien sie rein genug zu sein, um die Kirche wieder betreten zu können. Landwirte, die an schönen Sonntagen das Heu einbrachten, seien am nächsten Sonntag in der Kirche von Dekan Martin Waibel namentlich verkündet worden. Auch im Religionsunterricht lief es bei ihm nicht ohne Strenge ab. So sei dieser Dekan manchen Schülern lange in Erinnerung geblieben, wie ein Betroffener in der Jubiläumsschrift zu berichten weiss: «Wenn wir etwas nicht sofort begriffen, schrie er uns immer an: <Ihr dummen Lenggenwiler Glötze!> und stampfte mit seinen Füssen auf den Boden.»