Aufgrund der Corona-Pandemie wurden auch die Berufsschulen geschlossen und der Unterricht erfolgte in den letzten Wochen mittels Fernunterricht. Kann das BZWU (Berufs- und Weiterbildungszentrum Wil-Uzwil-Flawil) in dieser Zeit seine Vorreiterrolle bei modernen Bildungsmethoden nutzen? Wie geht es weiter? Wie erfolgen die Lehrabschlussprüfungen? Jürg Grau fragte nach bei Marco Frauchiger, Rektor des BZWU.
Herr Frauchiger, wie geht es Ihnen persönlich?
Marco Frauchiger: „Mir geht es persönlich sehr gut. Ich bin im Grundsatz ein zuversichtlicher und optimistischer Mensch. Ich bin aber auch Realist und mache ich mir viele Gedanken zum jetzigen Weltgeschehen. Eine möglichst differenzierte Meinungsbildung ist mir wichtig. Zu diesem Zweck informiere ich mich täglich über verschiedene Kanäle zum aktuellen Geschehen und werte die News immer wieder aufs Neue für mich aus. Ich bin heute überzeugt, dass die Welt nach der Corona Krise anders aussehen wird. Vielleicht agieren wir etwas bescheidener, demütiger, nachhaltiger und möglicherweise sogar etwas weniger egoistisch. Was mich im Moment wirklich ärgert, sind die Heerscharen von Pessimisten, die mit grosser Hingabe den schlimmstmöglichen Fall als gegeben betrachten und hinterfragende oder anderslautende Betrachtungen als unethisch oder unmoralisch betiteln. Wir brauchen dringend eine differenzierte, vielfältige und ganzheitliche Meinungsbildung!“
Das BZWU ist ein Vorreiter in digitalen Unterrichtsformen. Ist dieser Vorsprung während der Corona-Pandemie spürbar?
„Ich bin extrem froh, dass wir uns schon seit 2017 mit neuen didaktischen Modellen aktiv auseinandersetzen und im Bereich Mediendidaktik über eine grosse Erfahrung verfügen. Mit Stolz darf ich feststellen, dass unsere Lehrpersonen über 70% der üblichen Unterrichtsleistung in hoher Qualität ortsunabhängig anbieten können. Die Rückmeldungen unserer Lernenden sind sehr positiv. Besonders herausgehoben wird die neue Möglichkeit, Aufgabenstellungen im eigenen Tempo absolvieren zu können und Hilfestellung von der Lehrperson anzufordern, wenn sie benötigt wird. Wir können nun viele neue methodische Elemente im Vollbetrieb auf den Prüfstand stellen und die Ergebnisse auswerten. Ich bin überzeugt, dass wir mit den gewonnen Erkenntnissen unsere Bildungsleistung nochmals verbessern und attraktiver gestalten können.“
Wo liegen die fehlenden 30%?
„Was uns allen wirklich fehlt, sind die physischen Begegnungen mit unseren Jugendlichen und Studierenden in der Erwachsenenbildung. Beziehungsarbeit und kollektive Lernerlebnisse sind für den Bildungserfolg unabdingbar und können nur sehr bedingt durch elektronische Hilfsmittel substituiert werden. Wir freuen uns deshalb auf die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts an unseren drei Standorten am 8. Juni.“
Wie sieht es mit dem Unterricht in den nächsten Monaten bis zu den Sommerferien aus? In welcher Form wird er durchgeführt?
„Bis zum 8. Juni ist Präsenzunterricht verboten. Wir werden also die Zeit nutzen, um unseren Fernunterricht laufend zu optimieren und dabei herauszufinden, welche Elemente in den Normalbetrieb überführt werden können. Unsere Abschlussklassen, die nun keine Lehrabschlussprüfungen absolvieren müssen, werden wir mit zukunftsgerichteten und möglichst praxisnahen Kompetenzen in der verbleibenden Zeit beschulen, damit die Motivation einigermassen hochgehalten werden kann. Im Bereich der Automobilberufe könnte das beispielsweise die Auseinandersetzung mit Zukunftstechnologien sein. Themen, die in einem dichten Lehrplan oft zu wenig Platz finden, aber für unsere jungen Berufsleute sehr spannend sind.“
Wie sieht das Vorgehen betreffend Lehrabschlussprüfungen aus? Wird es Lehrabschlüsse 2020 geben?
„Gemäss Weisungen des Bundes sollen die betrieblichen Prüfungen wo immer möglich durchgeführt werden. Der schulische Teil des Qualifikationsverfahrens wird nicht durchgeführt. Anstelle der Prüfungsresultate werden die Notenwerte aus den Semesterzeugnissen gemittelt. Eine faire Lösung, die unsere Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger nicht benachteiligen soll. Im Bereich der Berufsmaturität sind die Entscheidungen noch ausstehend und werden im Sinne einer Gesamtbetrachtung zusammen mit der gymnasialen Matura beurteilt. Der prüfungsfreie Übertritt in eine Hochschule ist dabei eine entscheidende zusätzliche Hürde, die sauber analysiert werden muss. Wir erwarten klare Weisungen für diesem Bereich in den nächsten Tagen.“
Sind Sie zufrieden mit der Zusammenarbeit mit den Lehrmeistern?
„Die Lehrbetriebe sind weiterhin aufgefordert, die Lernenden an den Schultagen für den Unterricht freizustellen. Oft stellen unsere Ausbildungsbetriebe Arbeitsplätze für den Fernunterricht zur Verfügung oder unterstützen die Lernenden zusätzlich. Die Zusammenarbeit kann also durchwegs gelobt werden.“
Herr Frauchiger, besten Dank für das Gespräch und weiterhin gute Gesundheit!