Am 12. März wird voraussichtlich im Wiler Stadtparlament über eine Motion zum Liegenschaftskomplex «zum Turm» debattiert. Seit der Einreichung wurde der Wortlaut des Motionstextes geändert. wil24 hat sich beim Präsidium der IG Kultur Wil, Sebastian Koller und Erwin Böhi, über die Gründe der nachträglichen Anpassung erkundigt.
wil24: Sebastian Koller, Sie haben im Stadtparlament eine Motion zur Umnutzung des Liegenschaftskomplexes «zum Turm» an der Tonhallestrasse eingereicht, was fordern Sie von der Stadt Wil genau?
Koller: Die Liegenschaft «Turm» steht seit mehr als zwei Jahren leer. Gleichzeitig beklagen sich Wiler Vereine, Kulturschaffende sowie die Musikschule über ein ungenügendes Raumangebot. Mit der Motion verlangen wir vom Stadtrat ein Raum- und Betriebskonzept, welches die Infrastrukturbedürfnisse der Vereins- und Kulturszene sowie der Musikschule abdeckt. Daneben sollen weitere Nutzungen (bspw. Gastronomie, Gruppenunterkunft) im «Turm» Platz finden. Das Ziel ist ein Mix von öffentlichen Nutzungen, die Synergien entfalten und zur Belebung des äusseren Altstadtbereichs beitragen.
wil24: Die Motion wurde im Wortlaut abgeändert, weshalb?
Koller: Nach der Einreichung äusserten einige Parlamentsmitglieder Bedenken, dass unser Vorschlag zu stark auf kulturelle Nutzungen fokussiert sei. Das war natürlich nicht unsere Absicht. Das Infrastrukturangebot im «Turm» soll nicht nur von Kulturschaffenden und Kulturvereinen genutzt werden können, sondern von allen Gruppierungen, die sich zum Wohl der Gesellschaft engagieren. Mit dem geänderten Wortlaut wird das klargestellt. Wir sprechen neu von einem «Begegnungs-, Kultur- und Musikschulzentrum». Ausserdem haben wir den Motionsauftrag in verfahrenstechnischer Hinsicht präzisiert.
wil24: Erwin Böhi, wer steht hinter dieser Motion?
Böhi: Die Forderung nach einem Kulturzentrum wird von allen Vereinen und Kulturschaffenden, die sich in unserer IG zusammengeschlossen haben, unterstützt. Bei der Entwicklung der Projektidee kamen wir in Kontakt mit der Musikschule und haben das Synergiepotenzial eines kombinierten Kultur- und Musikschulzentrums erkannt. Die Ausarbeitung der Motion erfolgte durch eine Arbeitsgruppe, in welcher die Fraktionen des Stadtparlaments, der Vorstand der IG Kultur sowie die Leitung der Musikschule vertreten waren. Bei der Einreichung wurde die Motion von 29 Parlamentsmitgliedern aus sämtlichen Fraktionen unterzeichnet.
wil24: Die Musikschule ist in Ihrer Motion ebenfalls erwähnt, weshalb will sie ihre bisherigen Räumlichkeiten verlassen und in den «Turm» umziehen, genügen sie nicht?
Böhi: Die Räume der Musikschule sind heute auf zwei Standorte verteilt, einerseits das Musikschulhaus am Bleicheplatz, andererseits die Schulanlage Lindenhof. Diese Situation erschwert die interne Kommunikation und Zusammenarbeit. Das Musikschulhaus am Bleicheplatz war nur als Provisorium gedacht, besteht aber mittlerweile seit 30 Jahren. Die Schall- und Wärmedämmung ist völlig ungenügend. Um eine Totalsanierung zu ermöglichen, müsste zumindest vorübergehend ein Ersatzstandort gefunden werden. Uns erscheint es sinnvoller, die Gelegenheit zu nutzen, um die Musikschule an einem neuen, definitiven Standort zu zentralisieren.
wil24: Sebastian Koller, eine Motion mit diesem Inhalt kann man auch als indirekte Kritik an der städtischen Kulturpolitik interpretieren, wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mir ihr?
Koller: Die Kulturpolitik der Stadt Wil ist eine Politik der schönen Worte. Angesichts der grossen Herausforderungen wären Taten statt Worte gefragt. Das Wiler Kulturwesen beruht fast ausschliesslich auf Freiwilligenarbeit. Die allgemeine Tendenz unserer Gesellschaft hin zur Unverbindlichkeit, Kurzfristigkeit und Multioptionalität ist für Kulturvereine existenzbedrohend. Sie bekunden zunehmend Mühe, genügend Mitwirkende zu finden, welche die nötigen Qualifikationen mitbringen und bereit sind, sich über längere Zeit zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit zu verpflichten. Die Politik muss dieser Entwicklung gegensteuern, indem sie optimale Rahmenbedingungen für die Freiwilligenarbeit im Kultursektor schafft. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört insbesondere die Infrastruktur. Im letzten Jahrzehnt hat die Stadt wenig bis nichts in die Kulturinfrastruktur investiert. Die Wiler Kulturpolitik zehrt von den Früchten der Vergangenheit und betrachtet den Status Quo als selbstverständlich. Kultur bedeutet aber immer Entwicklung. Wer sich nicht anstrengt, fällt zurück.
wil24: In Wil gibt es den Gare de Lion, die Lokremise, die Tonhalle, die Bühne am Gleis sowie weitere Kulturorte, ist da eine weitere Kulturinstitution nicht ein Luxus, den sich die Stadt nicht leisten kann?
Koller: Bei den genannten Beispielen handelt es sich um Veranstaltungslokale, in denen Kultur dem Publikum präsentiert wird. Davon gibt es in der Tat einige. Doch bevor man etwas präsentieren kann, muss man es zunächst einmal erarbeiten. Die kulturelle Darbietung ist das Ergebnis eines aufwendigen Prozesses, welcher abseits der Öffentlichkeit stattfindet. Auch dafür braucht es Infrastruktur – namentlich Probe-, Atelier- und Lagerräume. Wenn wir von einem Kulturzentrum im «Turm» sprechen, meinen wir ein «Kulturentwicklungszentrum». Für eine Kulturstadt sollte es kein Luxus, sondern eine Selbstverständlichkeit sein, ein solches Infrastrukturangebot bereitzustellen. Dass Kulturschaffende in die Nachbargemeinden ausweichen müssen, weil sie in Wil keinen Raum finden, ist ein Armutszeugnis für unsere Stadt.
wil24: Erwin Böhi, im vergangenen Sommer haben Sie die Arbeitsgruppe Kulturpolitik ins Leben gerufen, wie kam dazu und was bezweckt dieses Gremium?
Böhi: Der Vorschlag für die Arbeitsgruppe Kulturpolitik stammt von Sebastian Koller. Ich habe die Idee von Anfang an unterstützt und mittlerweile leite ich die Gruppe. Die Arbeitsgruppe versteht sich als Bindeglied zwischen der Kultur und der städtischen Politik. Es geht darum, kulturellen Anliegen und Projekten im Stadtparlament vermehrt Gehör zu verschaffen und sie überparteilich abzustützen.
wil24: Wer gehört der Arbeitsgruppe an?
Böhi: Als Fraktionsvertreter/innen wirken Ursi Egli (SVP), Brigitte Gübeli (CVP), Christof Kälin (SP), Marcel Malgaroli (FDP) und Mike Sarbach (GRÜNE prowil) in der Arbeitsgruppe mit. Sebastian Koller und ich vertreten den Vorstand der IG Kultur und Adrian Zeller unterstützt uns im Bereich der Kommunikation. Punktuell ziehen wir weitere Personen bei.
wil24: Wie arbeitet die Arbeitsgruppe konkret?
Böhi: Die Motion «Turm» ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Arbeitsgruppe funktioniert. Das Gebäude steht nun seit rund zwei Jahren leer, während es im Bereich der Verfügbarkeit von Kulturräumen einen Mangel gibt. Wir haben uns deshalb innerhalb der Arbeitsgruppe darauf geeinigt, dass wir etwas unternehmen sollten, um diese Räumlichkeiten der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Die Vorbereitung der Budgetdebatte ist ein weiteres mögliches Aktivitätsfeld. Die Arbeitsgruppe trifft sich, um ihre Haltung zu kulturellen Projekten zu definieren, die vom Stadtparlament bewilligt werden müssen. Anschliessend vertreten wir die Haltung der Arbeitsgruppe in unseren Fraktionen und versuchen, Mehrheiten zu gewinnen im Hinblick auf die Beschlussfassung des Stadtparlaments zum Budget.
(pd)