Im ersten Vortrag der diesjährigen ökumenischen Bildungsabenden in Oberuzwil nahm Prof. Dr. Ralph Kunz am 10. Mai 2016 die zahlreichen Besucher mit auf eine Reise durch die Geschichte des Älterwerdens. Weitere Bildungsabende folgen am Dienstag, 17. Mai 2016, 20:00 Uhr im evangelischen Kirchgemeindehaus in Oberuzwil zum Thema «Trauern als Bestandteil des Lebens» mit Theologin und Pfarrerin Karin Kaspers Elekes und am Dienstag, 24. Mai 2016, 20:00 Uhr in der katholischen Unterkirche Oberuzwil zum Thema «Demenz» mit Gerontologin Regula Rusconi.
(Bettina Bellmont) «Jeder will alt werden, aber niemand will alt sein», fasste Pfarrer René Schärer das Thema der Bildungsabende zusammen. Für den Start am vergangenen Dienstag hatte er mit Ralph Kunz als seinen ehemaligen Professor für praktische Theologie und Leitungsmitglied am Zentrum für Gerontologie einen kompetenten Gastredner gefunden, der «immer publikumsnah und verständlich erklärt und gerne ein Prise Humor miteinstreut.» Diese Vorschusslorbeeren, wie Ralph Kunz sie nannte, wurden im Verlauf des Abends vollends bestätigt, so dass die vielen Besucherinnen und Besucher nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Nachdenken kamen.
Die zweite Pubertät
Er sei zwar erst 50, aber zähle sich schon zu den «Alten» dazu. Er habe erkannt: «Altern heisst zu realisieren, dass man in einem vergänglichen Körper lebt, aber weiss, wie schön das Leben ist.» Ralph Kunz ging in seinem Gastvortrag auf Spurensuche nach dem «Alter» – historisch, physiologisch, persönlich. Während man früher «so lange arbeitete, wie es eben ging», entstand im letzten Jahrhundert mit der «Pension» ein kulturell-gesellschaftliches Konstrukt, welches das Alter neu definiert. Die Idealvorstellung dieses neuen Lebensabschnitts habe heute wenig mit Gebrechlichkeit und Autonomieverlust zu tun, sondern mit mehr Zeit für sich und der Erfüllung von langgehegten Träumen. Diese Zeit von ungefähr 50 bis 80 Jahren – im Gegensatz zum vierten Lebensalter, das von Gebrechlichkeit geprägt ist – wird entwicklungspsychologisch als das «dritte Alter» bezeichnet. «Man hat das Gefühl, es ist eigentlich eine zweite Pubertät», scherzte Kunz. Eltern lösen sich von ihren Kindern, werden unabhängiger, rebellieren, unternehmen Dinge, die sie noch nie gemacht haben. Die Grenzen zwischen Alt und Jung verwischen sich. Es sei ein Prozess, sich auf die nächste Lebensphase einzulassen, der nicht bei allen gleich ablaufe. Ob wir uns auf einer ungebremsten Rutschbahn oder einem gemächlichen Aufstieg Richtung «Altsein» fühlen, müsse man sich persönlich fragen. Und harte Tatsache, die Kunz selbst bei seiner Mutter beobachten musste: «Es gibt keine Garantie auf das dritte Alter.»
Bedächtigkeit als Segen
Besonders faszinierte Gastredner Kunz mit einem Bild eines Lebenskreises aus dem 16. Jahrhundert. «Von der Wiege bis zur Bahre» schliesst sich der Kreis, der mittig in den Himmel führt. Und der Höhepunkt dieses Kreises? Da sitzt ein lesender Mensch. «Da ist kein homo faber, sondern ein homo lector.» Anders sah es im 18. Jahrhundert aus. Das Altern ist hier schon eine Karriere, mit einem Höhepunkt als machtvoller Geschäftsmann und einem Abstieg zum autonomielosen Greis: Die Horrorvorstellung Demenz kommt in den Sinn. «Wenn man sich damit etwas befasst», beschwichtigt Kunz, «verliert die Demenz etwas an ihrem Schrecken. Man sollte nichts beschönigen, aber auch nichts verteufeln.» Statt das dritte Alter – auf Teufel komm raus – verlängern zu wollen, müsse man lernen zu akzeptieren, dass Körper und Geist nachlassen. Wo die fluide Intelligenz schwinde, bleibe die kristalline – also Erfahrungswerte und Weisheit. «Bedächtigkeit ist ein enormer Wert und könnte ein Segen sein.» Eine Patentlösung, wie mit dem Altern umzugehen ist, hat Ralph Kunz keine. Nur eine Hoffnung: «Ich glaube, es hilft, wenn wir demütig vor dem Leben sind und Ja sagen können zur endlichen Existenz mit Gott als Mitte unseres Lebenskreises.»
Die weiteren Bildungsabende:
- Dienstag, 17. Mai 2016, 20:00 Uhr im evangelischen Kirchgemeindehaus in Oberuzwil: «Trauern als Bestandteil des Lebens» mit Theologin und Pfarrerin Karin Kaspers Elekes.
- Dienstag, 24. Mai 2016, 20:00 Uhr in der katholischen Unterkirche Oberuzwil: «Demenz» mit Gerontologin Regula Rusconi.